Montag, 2. April 2012

Die Dächer von Bengaluru

Über ein halbes Jahr ist es nun her, dass ich hier ankam... Also nicht hier., also nicht hier genau. Aber hier in Indien. Mittlerweile bin ich, zwar immer noch in Bengaluru, woanders. Wohne wo anders, lebe anders und hab ein neues Projekt. Ein wunderschönes, neues Projekt. Bald mehr dazu (solltest du jedoch zu neugierig sein, dann werf mal einen Blick auf die Seite: Mein Projekt).
Da ich im Rahmen des staatlichen Förderprogrammes IJFD gefördert bin stand vor geraumer Zeit auch ein Halbjahresbericht an. Viel Spaß beim lesen!





                      Die Dächer von Bengaluru

                                         Till Kopietz
                                                      Indien-IJFD-2011/2012
                 Global-Concerns-India, Benagluru
                                                                      Halbjahresbericht




Es ist frisch geworden in Bengaluru. Eine leichte Abendbrise weht über die Dächer L.R. Nagars.
Sechs Monate. Eine lange Zeit. Sechs Monate bin ich schon hier in meinem neuen Leben. Sechs Monate, die schnell verstrichen.
Das Unalltägliche ist Alltag geworden. Ziemlich schnell eigentlich. Viel schneller als erwartet. Und viel schneller als gehofft? Was habe ich erwartet von einem Leben in einer so sprichwörtlich anderen Welt, andern Kultur, auf einem anderen Kontinent?
Nun zu erst einmal lässt sich feststellen, eine andere Welt erwartete mich nicht. Eigentlich doch nicht überraschend, sind wir doch alle Menschen, Gewohnheitstiere mit ähnlichen Wünschen und Bedürfnissen. Eine Tatsache, die man seltsamerweise vergisst, wenn man aus der Ferne über die Ferne nachdenkt.
Oft werde ich gefragt, was sind den nun die maßgeblichen Differenzen zwischen hier und dort. Zwischen Indien und Deutschland. Eine Frage die mich immer wieder zum überlegen bringt. Sind es die Kühe, der förmliche Streichelzoo auf den innenstädtischen Straßen meines Viertels? Die unterschiedlichenhluß daraus ich kann doch kein Englisch. Als ich eines Abends das Wort „busy“ im Gespräch mit meinen Gasteltern erwähnte, war dei Verwirrung groß. Das Schlimmste wurde angenommen, bis eine Übersetzung die Situation entspannte. Langsam dämmerte es mir, dass es hier nicht nur viele komplett neue Sprachen, sondern auch ein anderes Englisch sprechen.
Recht direkt schlug mir auch meine Chefin vor einen Menschrechtskurs am College zu besuchen. Eine gute Entscheidung, die es mir unter anderem durch die erfrischend neuen Meinungen meiner Mitstudenten und Mitstudentinnen ermöglicht einen kritischen Blick auf die gesellschaftlichen Probleme Indiens hinter der Kulisse des Alltags zu werfen.
Oft überschneidet sich das gerade Gelernte mit den Berichten meiner Chefin, den praktischen Erfahrungen in meinem Viertel, Foren zu Menschenrechtsthemen auf die ich im Rahmen meiner Volunteertätigkeit besuche oder Berichten aus den Medien.
Ein lautes Knurren schreckt mich auf. Bellen. Winseln. Die Straße gehört jetzt ihnen, den Hunden meines Viertels. Tagsüber jedoch verstummen sie, liegen auf dem Weg zur Arbeit, wie tot, mitten auf der Straße.
Normalerweise beginnt meine Arbeit nachmittags, wenn nicht gerade Morgennachhilfe für die Älteren vor der Schule ansteht. Geduld ist gefragt. Gegen vier kommen die ersten Schüler. Sie sind zwischen 5 und 15 Jahren alt, besuchen eine private Vorschule oder Schule mit der Hilfe einer Förderung durch GCI.
Je nach Schüler, Alter und Schule fällt die Kommunikation leichter oder schwerer. Leider sind Kannadakenntnis bei mir nicht vorhanden, da der Kannadaunterricht für die Freiwilligen Bengalurus in meine Arbeitszeit fällt. Sie fangen an ihre Hausaufgaben zu machen oder warten darauf, dass man sie dazu auffordert. Wissen abfragen, Englisch, Mathematik oder Scienceaufgaben korrigieren, erklären oder kleine Aufgaben oder Tests zustellen, fällt dann mir zu.
Täglich kommen bis zu 100 Kinder und Jugendliche zum ca. 10 Quadratmeter großem „Office“, somit fällt es schwer einen Überblick zuwahren oder Fortschritte zu verzeichnen. Gestern jedoch kam ein Junge zu mir um zu erzählen, dass ihn seine Englischlehrerin für das zusammen gelernte gelobt hatte. Es war der Junge von dem ich das am wenigsten erwartet hätte. Der „Macker“, der mit meiner antiautoritären Art nichts anzufangen weiß. Gerade er kam um sich zu bedanken. So sind die kleinen Momente, die eventuelle Erfolge zeigen.
Es wird mir zu kalt auf dem Dach. Ich beschließe in mein Zimmer zu gehen und mein Schlafplatz vorzubreiten. Während ich noch einen letzten Blick über die Dächer L.R. Nagars im Halbdunkel verwerfe, dämmert es mir. Es ist nicht das große Ganze, der Alltag, sondern die kleinen Dinge die den wirklichen Unterschied zwischen hier und dort ausmachen.




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